Samstag, 28. April 2018

Der Echoskandal 2018 - Ein politisches, konstruktives Statement...


Eigentlich war mir klar, dass ich darüber etwas schreiben muss, nur zeitlich kommt es mir leider absolut gar nicht gelegen. Nachdem ich aber die zigste dämliche Berichterstattung und Diskussionsrunde darüber beim nächtlichen Zappen durch das Fernsehprogramm hörte reichte es endgültig. Jetzt erst recht dachte ich mir in einer Nacht und Nebel Aktion und fing an zu tippen, aber es dauerte mehrere Tage bis ich einigermaßen zufrieden zu einem Schluss kam und es lohnt sich die halbe Stunde, Stunde Zeit zu nehmen, hoffe ich, um zu sehen auf was ich hinaus will. Im Nachhinein fallen mir noch Dutzende Ergänzungen oder Anmerkungen ein, welche ich noch hätte schreiben sollen, da ich versuche das Thema in einem wesentlich größeren Gesamtkontext zu sehen und zu ergreifen. Er soll auch nicht als ultimo ratio verstanden werden, ist sicherlich an vielen Stellen zu ungenau, vielleicht auch widersprüchlich aber dies sei mir bitte verziehen. Falls ich mich irgendwo geirrt haben sollte oder etwas übersehe, schreibt es mir in den Kommentaren. Ich bin gerne bereit darüber im konstruktiven Rahmen darüber zu diskutieren – ich halte es sogar für notwendig und nach all der langen Zeit wage ich mich insofern aus der „Deckung“ indem ich durchaus politisch werde, weil es aber für die bessere, vernünftigere Alternative halte.

 


Anlass ist natürlich die madige Echo Preis Diskussion welche inzwischen absurde Dimension annimmt. Im Raum steht die vermeintlich antisemitische Textzeile von Kollegah und Farid Bang „Mein Körper ist definierter als von Auschwitzinsassen“ des Liedes 0815. Wer sich den ganzen Text mal in Ruhe durchliest wird sich fragen oder feststellen a)  dies ist garantiert nicht die härteste Line im Text und b) was ist daran konkret antisemitisch?



Laut der deutschen Rechtschreibbibel dem Duden ist „antisemitisch“  definiert als „feindlich gegenüber den Juden [eingestellt], gegen das Judentum gerichtet“. Liest man sich den ganzen Text also in Ruhe und ohne aufgeblasene Backen durch lässt sich feststellen, es ist ein in meiner Augen durchaus geschmackloser Vergleich aber mehr auch nicht. Woraus sich hier explizit einen Judenhass oder dergleichen ableiten lässt ist mir schleierhaft, viel eher wurde hier bewusst mit solch einer wie nun stattfindenden Reaktion kokettiert, denn inhaltlich aussagekräftig ist dies nicht. Sich in Machomanier damit zu brüsten kräftiger als halbverhungerte Menschen zu sein ist nämlich wahrlich keine rhetorische Meisterleistung sondern eine dümmliche Nullaussage. Primär geht der Text zu Lasten von Flüchtlingen, Frauen und typischen „deutschen Opfern“ um mal den herrschenden Tenor grob zu bündeln. Das Wort „Jude“, „Israel“ oder dergleichen fällt an keiner Stelle noch vertieft sich der Text in diese Richtung oder leitet daraus einen Appel, Aufruf, Verherrlichung oder irgendwas in der Art. Das einzig triggernde Wort ist „Auschwitzinsasse“ – ein Wort welches untrennbar mit einem der schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte verbunden ist, dem in der Tat zu gut 90% Juden zum Opfer fielen; aber warum zur Hölle biete ich den Künstlern wegen einem Wort SO eine Plattform?* Ich stell diese Frage mal hinten an, weil sich hier mindestens zwei weitere Fragen und Thesen auftun, welche es wert wären, kritisch hinterfragt und beleuchtet zu werden. Generell erachte ich das Thema als viel zu komplex, als dass es mir möglich ist dies stringent am Stück nieder zu schreiben, viel mehr werde ich versuchen Gedanken zu Ende zu denken/schreiben und zu vertiefen und auf sich aufwerfende Fragen später einzugehen. Ich werde dies immer mit einem „*“ Kennzeichnen, auch für mich selbst zur Orientierung weil man vom Weg vom Zehnten ins Tausendste gerne das Hundertste übersieht.


Erst einmal möchte ich mich mit der banalen Wertigkeit des Echos befassen. Der gespielte Aufschrei sämtlicher Künstler über den „Verfall des Echos“ (sinngemäß) mit einhergehender Rücksendung selbiger Preise ist an Heuchelei kaum zu überbieten. Der Echo ist und war noch nie ein Preis der sich durch kulturelle Brillanz oder Wertigkeit auszeichnete sondern lediglich ein plumpes 1:1 Abbild des Massengeschmacks. Hier jetzt plötzlich nachträglich eine kulturelle und moralische Ebene einzuziehen spottet seiner selbst, weil dieser Anspruch oder Voraussetzung auch davor nie bestand und selbige Kriterien von nun entrüstetenden Preisträgern zuvor auch nie eingehalten oder zumindest gefordert wurden. Der Echo ist die Selbstbeweihräucherung der Musikindustrie analog zur Goldenen Kamera im Filmgeschäft, welche spätestens mit dem Goslinggate von Circus Halli Galli gnadenlos und schmerzhaft ihrer selbst überführt wurde. Du lieber empörter Künstler, hast den Echo nicht gewonnen, weil du gut, geil oder gesellschaftlich relevant bist, sondern weil du massenkompatibel dass machst, was die Leute hören wollen oder es ihnen gut verkaufst.

Die medial wirksamen Aufschreie und Forderungen eines Ausschlusses bestimmter Künstler ist eine Anmaßung und Kompetenzüberschreitung, denn wer bist du, der sich erfolgsgeifernd erst dazu gesellt um sich danach darüber zu beschweren, wenn andere, subjektiv nicht passende Nasen mit der Erfüllung selbiger Kriterien dazu kommen und was sagt dies über dich selbst aus? Rückgrat zu haben hieße, den Preis schon immer abgelehnt statt angenommen zu haben – politisch zu sein hieße, selbst einen eigenen Preis kreiert zu haben, der dann selbiges auch zulässt, den freien, politischen Diskurs* - wie gesagt, auch hier ein Verweis auf spätere Vertiefung.
An dieser Stelle sei auch die Widersprüchlichkeit des Preises am Casus Frei.Wild aufgeführt. Ich bin absolut kein Fan der Band, im Gegenteil – aber welche Vorwürfe aus sicherlich nationalpopulistischen Texten gesponnen wurden ist nicht nur überdreht, sondern zeigt anhand der Ausladung 2013 (inklusive zig Boykottaufforderungen, Auftrittsverboten und Co. weit über den Preis hinaus, auch von Künstlern welche weder nominiert noch eingeladen waren) und der erneuten Nominierung 2015 und dem Gewinn des Preises 2016 dass da nicht wirklich geradlinig gehandelt wird also steckt euch den moralischen Kompass sonst wohin! Als moralische Instanz ist der Echo nie und nimmer glaubwürdig, das ist lachhaft. Falls das noch nicht ausreicht, packt noch den Namen Xavier Naidoo mit auf die Liste…*

Also halten wir fest, die politische Glaubwürdigkeit und Relevanz des Echos ist nicht vorhanden, viel eher sollte es uns gesellschaftspolitisch zu denken geben, wer oder was nominiert ist, immerhin scheint dies ja anhand der nichtssagenden Kriterien sehr gut „in der Mitte“ oder Mehrheit der Bevölkerung anzukommen.

Eine Diskussion WÄHREND der Verleihung ist peinlich, es ist auch nicht sonderlich mutig von Campino so eine Rede mit solch medialem Rücken zu halten. Sie war inhaltlich nicht „falsch“ (ich setze so Wertigkeiten bewusst mal in Anführungszeichen, ich will später auf „richtig“ oder „falsch“ eingehen, in einem anderen, größeren Kontext) aber zeitlich total unpassend und fehl am Platz. Klar muss, wer austeilt auch einstecken können, aber unvermittelt von Kollegah eine Stellungnahme zu erfragen ist stilistisch unsauber, denn ja – hier hat er Recht. Es gab die Diskussionen vorab, es gab vorab eine Ethikkommission welche getagt hat und beschlossen hat, die Nominierung aufrecht zu erhalten, die Künstler einzuladen. Man war nun nur hier um eben die Preisvergabe zu feiern und nicht um politische Diskurse abzuhalten. Diese fanden mehr oder weniger vorher statt, auch wenn wir gerade schon festhielten, dass sich selbige ad absurdum führen und nicht glaubhaft sind; aber dennoch – an diesem Punkt nun nochmal anzusetzen ist vergleichbar mit bockigem Nachtreten und ja, warum sollten die Beschuldigten darauf nun eingehen? Und klar kam die hämische Retourkutsche, nachdem sie den Preis gewannen. Wer will es ihnen verübeln, aber ja – stilsicher, preisverdächtig oder den sich selbst feierlich ausgelobten Rahmen erfüllte es nicht. Zu der Farce welche der Preis an und für sich darstellt ironischerweise schon, aber das ist sicherlich eine ungewollte Metasatire und wirklich zielführend wird das nun dann auch nicht.

Mehr oder weniger zeitgleich wurde ein wesentlich interessanteres Fass aufgemacht, welches auf dem ersten Blick kaum, auf dem zweiten Blick aber verdammt viel damit zu tun hat. Es geht um Prezidents Rundumschlag „Ich geh euch liebend gern die Extrameile auf den Sack“ der verdammt tiefe Wunden im Rap Business schlägt und sehr zwiegespalten von der frontal ins Visier genommene Musikpresse aufgenommen wird. [Absolut hörenswert an dieser Stelle: https://www.youtube.com/watch?v=RmPCq72fRzk] Während die meisten getroffenen Hunde trotzig reagieren und selbiges Prezident unterstellen, auf reine Provokation aus zu sein oder Sachen eben zu verharmlosen, wird die bitter nötige Chance verpasst mal inne zu halten und eine Standortbeschreibung zu definieren, wo man steht, wohin die Reise geht und warum dies und jenes doch oder nicht.
Es ist definitiv eines der heißesten und subversivsten Eisen im Feuer, welches schon lange glimmt und mehr oder weniger zusammen mit oder entlang der ganzen Echo Diskussion geführt werden sollte, weil es genau darum ja auch geht.

Wie ist die Stimmungslage in der Szene, was ist Konsens und erlaubte Provokation, was gehört zum Image und wo sind die Grenzen? Findet eine wertschöpfende Diskussion statt oder wird dies und jenes hingenommen oder nur wenn dies und jenes aus dieser oder jener Ecke kommt? Prezident reißt die Fassade von alle dem ekelhaft direkt auf und spuckt das Blut in das Gesicht derer, welche bislang darüber urteilten, eben weil es nicht länger in sich schlüssig und ohne Doppelmoral ist. Ich persönlich kann leider nicht viel über Absztrakkt sagen, außer dem Feature auf Prezidents Limbus und ein-zwei recht harmlos erscheinenden Yoga-Tracks kenne ich nichts von ihm und ich lege ungern meine Hand irgendwohin wenn ich nicht weiß ob es brennt oder beißt oder vielleicht doch nur schnurrt. Aber davon abgesehen  - unabhängig was an den mir bekannten, vage umrissenen Vorwürfen dran  ist – (*es wird noch klar werden auf was ich immer hinaus will); stellt Prezident dennoch einiges in den Raum wo man sich in der Tat fragt, warum nicht ein hoffentlich – wenngleich offenbar nicht ausreichend genug vorhandener, investigativer Idealismus – Leitbild bei den Artikeln sein sollte, oder ob traurige Clickbait-tatsachen genügt. Damit wäre aber die eigene Funktion und Vorstellung entbehrlich und das reflexhafte Gebell verkommt zum Paradoxon.
Sätze wie „es war ein Fehler von uns“, „es war nicht gänzlich durchdacht“ finden sich leider nicht, stattdessen geht der Fingerzeig anklagend direkt zurück was ein gänzlich unfruchtbarer Boden für Reflektion ist.*

Ich überlasse es jedem selbst an dieser Stelle, für sich zu definieren wo er Grenzen setzt – nicht aus Feigheit Position zu beziehen, sondern weil ich mich weder zur Moralpolizei aufschwingen möchten  und noch bedeutend gewichtiger für mich persönlich, weil ich mit mir selbst darüber nicht im Klaren bin. Ich bin persönlich ein Fan von Extremen, sei es in der Musik, der Prosa oder der Dramaturgie an und für sich, ich liebe die Spannung, den Zusammenfall von Konventionen, von Schaffenskraft im Chaos, konstruktiven Destruktionen und während ich auf der einen Seite einer Rechtfertigung verzweifelt einem tieferen Sinn anklammere, welche das ganze rechtfertigt und davor schützt in den reinen, stumpfen Selbstzweck abzurutschen, kokettiere ich genau damit. Kunst befreit von allem, befreit von Sinn und Aussage, ihrer selbst willen als nicht mal ausgesprochener Antithese, als nicht greifbar, als Fragment einer Nichtigkeit.

Dennoch sind wir als friedlebende Gesellschaft dazu genötigt, den Kosmos mit Grenzen und Regeln abzugrenzen und es wird uns nie gelingen, dies widerspruchslos zu gestalten. Wahrscheinlich wird es auch dieser Artikel nicht sein, aber darauf will ich auch nicht hinaus und vermessen wäre es, dies auch je anzunehmen. Dennoch sind Normen und Regeln nicht in Stein gemeißelt sondern stets geprägt von einem Zeitgeist und gesellschaftlichen Entwicklungen. Manche Auslegungen sind durchlässiger, andere weniger – aber als fortschrittliche Gesellschaft ist es unsere aller Aufgabe daran zu arbeiten und unser Zusammenleben mitzugestalten.

Worauf will ich hinaus mit meinem wilden Kameraschwenk, meinem Zoom auf ganz nah und ganz fern und weit? Während also erstmals(!) getan wird, als würde es beim Echo um Werte gehen in der Art, dass Köpfe rollen sollen, Preise nicht mehr verliehen oder anders gestaltet werden sollen – was bei genauerer Betrachtung nichts anderes als zeittypisches Aktionismuszucken ist; müsste zeitgleich oder zuerst, einige Ebenen tiefer eine szeneinterne Diskussion stattfinden. Es sollte nicht von der Presse lanciert werden, weil sie bewiesen hat, dass sie dazu nicht in der Lage ist, gleichwohl müsste sie einen eigenen Kreis bilden um sich ebenso selbst zu reflektieren. * Ich stell auch hier meine Schlussforderung hinten an um nicht anderweitig vorwegzugreifen.
Aber festzuhalten gilt, es gibt scheinbar gute, gewollte und gefeierte Verstöße gegen herrschende Sitten, Bräuche und Regeln, während andere selbst schon im Ansatz geächtet werden und problematisch wird es, wenn zeitgleich vom gleichen Medium scheinbar willkürlich der Daumen nach oben oder nach unten geht. Das prangert Prezident an, ihm geht es nicht gekränkten Stolz weil er sich selber unterrepräsentiert sieht, er versucht sich nicht dadurch in den Fokus zu bringen noch verteidigt er eventuell fragwürdige Einstellungen von Absztrakkt – mit keinem Wort wertet er diesbezüglich, er kritisiert die rückgratlose Haltung der Medien.

Und ausgehend von Preisen kann man auch hier wieder den Kreis größer ziehen, unter diesen Gesichtspunkten ist auch ein Bambi für Integration für Bushido merkwürdig zu verstehen. Man versucht schlichtweg auf extrem dilettantische Art und Weise die Preise mit einem politischen Vibe zu unterlegen und scheitert dabei grandios, weil die ausstrahlende Wirkung, die Message extrem widersprüchlich und inkonsequent ist.
Man pickt hier also eine Textzeile heraus – die BILD Zeitung überspitzt das ganze schon indem sie von „Hass Rappern“ schreibt während man alles andere so hinnimmt, dieses bigotte Verhalten kann man sich in keinem noch so verschobenen Wertekosmos schön biegen.
Dass also mal zum Prezident-Einschub, welcher an dieser Stelle zwingend von Nöten ist, wenn man sich anschaut, wer sonst noch Preise abräumt und gewinnt und worüber sich dabei „unterhalten“ wird, was nicht nur gefeiert sondern auch gelobt wird.
Während ich aber durchaus d‘accord damit gehe, dass diese Zeile absolut unnötig und provokant war – wenngleich ich nicht mal einen antisemitischen Beweggrund unterstelle – man vergleiche auch das anschließende Dementi von Farid Bang, ob und aus welchen Gründen sei mal dahingestellt, dass darauf auch nicht wirklich eingegangen wurde und sich die Stempelfarbe nicht mehr abwaschen ließ spricht für sich; lohnt es sich ein bisschen darüber zu reden, dass man alles, was man schlecht reden möchte, auch entsprechend interpretieren kann.
Perfekt eignet sich hier auch wieder der Sprung zu Xavier Naidoo, der sicherlich einiges an wirren und merkwürdigen Äußerungen von sich gegeben hat und vom fast „everybodsys darling“ zum homophoben, antisemitischen Reichsbürger degradierte, aber unabhängig davon betrachtet, stieß mir vor allem folgender Artikel [ http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/marionetten-von-xavier-naidoo-soll-reichsbuerger-hymne-sein-14998067.html ] der Frankfurter Allgemeinen zu seinem Lied „Marionetten“ beispielhaft auf.
Klar wird es rechtlich vage mit „ein paar mögliche antisemitische Anspielungen sind auch dabei“ oder „erinnert stark an“, „kann gelesen werden“ umformuliert, aber dieser rhetorische Konjunktiv ist reine Makulatur. 
Man möchte den Künstler zwanghaft auf ein Image festnageln und selbst wenn dies privat durchaus auf ihn zutreffen mag und könnte, wird nun versucht dies auch anhand der Texte zu belegen. Und wenn dort nicht explizit steht, „die Juden sind schuld“ – muss man eben umdisponieren und es so auslegen, als würde er es damit durch die Blume meinen. Mir ist klar, dass dies auf der anderen Seite durchaus auch so geschieht, dass Bands welcher einer Überwachung durch den Verfassungsschutz oder sonstiger imageschädigenden Maßnahme entgehen möchten, Behauptungen chiffrieren, aber so wird auch ein Zirkelschluss draus und Lyrics lesen zur Kaffeesatzleserei. Will heißen, ja es gibt dies, aber nein ich brauche niemand, der mir vordeutet was ich daran zu sehen habe – Mündigkeit ist eines der wichtigsten Worte auf welches ich hinauswill.

Dennoch, die konstruierten Zusammenhänge sind schon extrem gewollt und an den Haaren herbeigezogen. Das Symbol des Puppenspielers sei ein „uraltes antisemitisches Klischee“, Sachverwalter wird über Umwege zum „Weltjudentum“ und aus der Zeile aus „an Unschuldigen vergehen“ wird besonders kreativ ein Bogen von Kindesmissbrauch hin zu Todesstrafe für selbige „besonders beliebtes Thema im rechtsextremen Spektrum“. Klar die Lyrics sind scheiße und zu dick aufgetragen, aber die Kreativität in der Umdeutung steht dem in keinem nahe. Wie gesagt, diese Beispiele sind noch im Konjunktiv formuliert, aber weder wurde der Künstler dazu befragt und noch hat er in diesem Artikel dazu noch nichts gesagt, ob er muss ist eine andere Frage – ein Künstler muss nicht alles erklären, aber fraglich ist, ob man ihm deswegen alles umdeuten kann und ihn damit derart definitiv in eine Ecke stellt. Denn egal was er davor jetzt gesagt hätte oder was an der Sache dran ist, nach zwei, drei Absätzen steht das Image schon.

Mich persönlich stören solche vorschnellen Vorverurteilungen extrem! Daher spring ich jetzt zum nächsten Thema, von welchem ich eher betroffen bin, so oft gebe ich persönlich den Echo Preis nämlich nicht zurück. Weil wie auch schon beim Thema Frei.Wild schlägt sowas große Wellen, welche weit über das auch nur ansatzweise nachvollziehbare hinausgehen. Wie schon betont, ich mag die Band nicht, ich halte sie für nationalpopulistisch und für im wahrsten Sinne des Wortes „Bauernfänger“, das gilt per se definitiv nicht für alle Fans und Hörer, aber ich habe persönlich schon negative Erfahrungen mit ihren Fans gemacht, welche das typische Klischee bestätigen. Und unabhängig davon, ob sich die Band von alten Sachen und Aktionen distanziert oder nicht, ganz gleich ob man ein „müssen“ voraussetzt oder für egal hält, würde ich solche Bands am Tun messen. Die Bösen Onkelz hatten eine ähnliche Geschichte, haben sich davon distanziert und etabliert aber in der späteren Zeit alles mit dem mehr als unrühmlichen Vorfall und dem gleichgültigen Verhalten nach dem Unfall des Sängers kaputt gemacht. Ihnen kann man es übel nehmen, weil das diametral allen Werten widerspricht, was sie einst besungen haben. Damit sind sie nicht mehr glaubwürdig – in meinen Augen.

Aber ein ähnliches Credo herrscht generell vor, oft genug wurden durch natürlich feige, anonyme Anzeigen Auftritte von Bands „verhindert“ durch üble Hetzrede und unwahre Diffamierungen – ohne damit die Chance auf einen Dialog zu bieten. Denn wie will man mit jemanden sprechen, wenn dieser sicher aus der Deckung agiert. Wir reden hier jetzt nicht mal über einschlägige Bands wie Absurd, Sleipnir, Landser und Co. – Burzum ist ein z.B. ein interessanter Streitpunkt. Der Kopf der Band dahinter ist definitiv rechtsextrem und zu Recht vorbestraft, ein Heiliger ist er also nicht – die Band selbst ist aber soweit unpolitisch, ob das inzwischen für alle Alben gibt kann ich nicht sagen, ich kenne seine neueren Werke nicht, aber selbst wenn dem nun nicht mehr so sein sollte, kam es zuvor schon zu kontroversen, Fans mit Shirts der Band wurden zum Teil nicht in Locations gelassen. Da fehlt mir eine Trennung von Musik und Kopf dahinter und geneigte Hörer in denselben Topf zu werfen halte ich für fatal. Ich finde es sollte jeder selbst entschieden, ob und inwiefern er den Mensch dahinter finanziell unterstützen möchte. Ich kann jeden verstehen, der sagt – nö, so einen möchte ich persönlich nicht unterstützen, ich werde seine Musik nicht hören und nichts von ihm kaufen. Aber solange seine Musik nicht explizit verfassungsfeindlich und/oder verboten ist, warum wird dann die Musik deswegen verurteilt. Das kann  man auch gerne noch abstufen, oft reicht es schon wenn ein Mitglied einer Band in diesem Kontext „kritisch“ zu beurteilen ist oder wenn sie mal mit einer anderen Band einen gemeinsamen Auftritt hatten welche „kritisch“ ist. Das lässt sich so gesehen immer mehr verdrehen, aber ich kann nicht nachvollziehen, warum das so weit geht, dass eben Druck in der Presse, bei Behörden, der Politik, dem Veranstalter, der Location gemacht wird, wenn eben eine Band spielt die selbst an und für sich weder rechtsextrem noch ihre Mitglieder aus einem anonymen Hinterhalt heraus, ohne Chance auf faire Klar- und Gegenüberstellung.

Gegen die Polizei und gegen den Staat oder die staatliche Ordnung zu sein, ist dann aber wieder okay. Das ist bigott. Es ist auch nicht schlimm links oder rechts zu sein, das Problem fängt erst an, wenn es extremistische Züge annimmt und sich daraus ein direkter Appel ableitet.

Wir sind momentan gesellschaftlich auch nicht in der Lage politisch fair und vernünftig zu argumentieren, es werden stets gleich reflexhaft Maximalforderungen gestellt, statt sich inhaltlich damit auseinander zu setzen. Die anfangs noch gemäßigten Montagsdemos/Pegidademonstrationen wurden von Anfang an in das rechte Eck gestellt, als „Pack“ beschimpft und als Nazis bezeichnet. Ebenso die ursprünglich als konservative FDP 2.0 gestartete AFD, welche unbestreitbar in ihrer Geschichte und Entwicklung zwei Mal deutlich mehr nach rechts gerückt ist. Der Wahlkampf war ein Trauerspiel für die demokratische Diskussion und setzt sich im Bundestag fort. Inhalte rücken in den Hintergrund, weil man über Ideen und Vorschläge nicht mehr diskutiert, wenn sie von der falschen Partei kommen und der Inhalt steht sowieso nur noch in der zweiten Reihe, weil vordergründig über Ideologien geredet wird. Toleranz für alle, aber mit Nazis nicht reden, sondern nur aufs Maul. Das beißt sich in sich selbst und am schlimmsten ist, dass es ironischerweise die schreckliche Verbrechen welche in der Vergangenheit stattgefunden haben, relativiert und verharmlost. Das ist kein souveräner Umgang mit der eigenen Vergangenheit sondern verklärter Aktionismus. Man wundert sich entsetzt, warum Populisten so erfolgreich werden, weltweit – während man gleichzeitig dazu übergeht dieses Verhalten zu adaptieren.

Ich kann hierbei nur Voltaire zitieren, „… ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen“ – dies macht das Wesen der Demokratie aus, kein Niederschreien und Blockieren oder lautstarke Boykottaufrufe und Vorverurteilungen. Es gibt keine richtigen und falschen Meinungen, es kann nicht sein, dass demokratisch gewählte Parteien daran gehindert werden Parteiveranstaltungen zu halten, dass verfassungsrechtlich geprüfte Bands nicht spielen dürfen, wenngleich es natürlich gesellschaftlich notwendige und gesetzte Grenzen und Regeln gibt.

Aber diese gilt es dann auch zu nutzen, wenn jemand durch Verleumdung, Verherrlichung und Hassreden geltendes Gesetz bricht, dann ist derjenige auch entsprechend zu bestrafen. Das aktionistisch zusammen gezimmerte und in den Diskussionsrunden gelobte Netzdurchsuchungsgesetz ist eine erbärmliche Bankrotterklärung staatlicher Souveränität. Natürlich ist es nicht okay, wenn im Netz anonym und nicht greifbar gehetzt wird, aber dies ist und war schon stets strafbar. Was man hätte dringend ändern oder angehen müssen, wäre die Durchsetzbarkeit geltendes Recht. Stattdessen wurde es mit Androhung überzogener und drakonischer Strafen privaten Unternehmen aufgezwungen umzusetzen was zu übervorsichtiger Selbstzensur führt.

Es ist gesellschaftlich zwingend notwendig und erforderlich wieder zu lernen unbequeme und sicherlich auch erschöpfende Diskussionen zu führen, statt ihnen auszuweichen. Der Echo Preis hat ironischerweise genau dafür eine neue Chance geboten, über ein vorherrschendes Problem zu diskutieren, stattdessen wird aber erneut übereilig ins selbe Schema zurück gefallen.

Der Autor der Welt Kolumne (*Anne Will Sendung vom 22.04.2018) hat immerhin zugegeben, seinen „emotionalen Artikel“ in 10 Minuten zusammen geschustert zu haben, was aber eben auch für sich spricht. Die Linken-Chefin Kipping ging auf die Frage von antisemitischen Problemen in der eigenen Partei insofern darauf ein, dass sie ihre Redezeit zur Frontalattacke gegen die ADF nutzte. Es wurde die Frage gestellt ob die Gesellschaft jüdische Stereotypen aushalten kann ohne selbige zu benennen, noch in sich zu gehen und zu hinterfragen, ob man nicht selbige durch sein Verhalten gar noch fördert – ich sag nur Stichwort „Puppenspieler“, es war der Artikel welcher dies ausgegraben und so umgedeutet hat, nicht zwingend der Interpret. Die Differenzierung von Kritik am Staat Israel und Antisemitismus wird nur schwammig umrissen und mit dem Holzhammersatz „Israelkritik behaupten aber Antisemitismus meinen“ von vorne rein totgehauen. Ja, das kann und wird es geben, aber wenn ich gleich alles so mit der Walze platt mache kann ich auch nicht mehr die Feinheiten betrachten.

Ich will hier auch nicht andauernd den Anschein erwecken die AFD zu verteidigen, aber im Prinzip ist es eine geheuchelte Doppelmoral mit der verdeckt wird, dass man scheinbar keine argumentative Überlegenheit hat um mit der Partei, den gesellschaftlichen Fragen klar zu kommen. In einem Wahn der übertriebenen, politischen Korrektheit werden Äußerungen und ideologische Bewegungen unabhängig ihrer Tiefe und Tragweite zusammen gepresst, gänzlich egal ob sie zusammen gehören oder nicht. Es fehlt an Mut und Feingefühl.

Schwer das irgendwie wieder schlüssig zusammen zu fassen, aber Fakt ist – es ist auch absolut nichts schlüssig. Auch auf die Gefahr hin, Farid Band und Kollegah ihrer eigenen Verantwortung zu befreien, muss man doch auch im Rahmen dessen, wann der Echo Preis verliehen wird, von Symptomen einer Gesellschaft sprechen, denn sie sind sicher nicht die Wurzel allen Übels.
Die kritisierte Textzeile ist stumpf, platt und eigentlich dumm – wenngleich sie ja für genau das Echo sorgt, welches womöglich einkalkuliert war (wie auch sonst will man in einer solch scheinbar tabulos-liberalen Gesellschaft noch provozieren) und die ganze Aufregung nicht wert.

Wir brauchen als Gesellschaft „schlicht und einfach“ (das es dies nicht ist, sieht man ja gerade wunderbar) eine schonungslose und offene, historische, politische Aufklärung, eine Möglichkeit auch unbequeme Fragen zu Stellen und aber auch die Geduld sachlich, fundiert und ernsthaft interessierte Antworten zu geben über die auch diskutiert werden darf und muss. Das erfordert extrem viel Zeit, zerrt an den Nerven und mag noch so oft sinnlos erscheinen, aber was wäre denn die bessere Alternative? Demokratie ist die gelebte Diskussion, eine Demokratie in der wir Stolz und Demütig gleichermaßen sein können und müssen, in der Verantwortung nicht nur versprochen sondern auch gelebt wird und in der Fehler auch verziehen werden, weil sie menschlich sind, weil niemand perfekt ist. Eine Diskussion in der man sich ausreden lässt, auch wenn der andere Unsinn erzählt, indem ich den anderen versuche mit den besseren Argumenten statt mit Lautstärke oder Drohungen zu überzeugen. Eine Demokratie in der wir uns alle wiederfinden, in der wir zusammen wachsen, uns stetig selbst reflektieren, in der wir Haltung zeigen und dennoch unserer Unfehlbarkeit bewusst sind. In der wir gemeinsam Regeln entwerfen und Grenzen setzen und ein Verstoß gemeinsam ahnden. Eine Demokratie welche Provokationen weglächeln kann, weil sie sich ihrer Stärke bewusst ist, in der Provokationen vielleicht sogar ins Leere laufen oder uns daran erinnern, warum und für was wir gemeinsam kämpfen.

Und eigentlich wollte ich noch wesentlich mehr sagen, aber ich finde der obige Absatz könnte ein zu schönes Credo, ein Apell  sein, es liegt an uns was wir daraus machen. So wie jetzt ist naja, irgendwie schon scheiße…

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